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21.09.2022

KassenärztInnen im Bezirk Tulln schmerzlich vermisst

Landarztgarantie der ÖVP gescheitert

 

Im Bezirk Tulln fehlen Haus- und Fachärzte mit Kassenvertrag. „Dass mehr Ärzte benötigt werden, liegt daran, dass die Region immer weiter wächst. Auch die Lebenserwartung steigt und damit der Anteil älterer und kranker Menschen“, betonte SPÖ-Bezirksvorsitzende Bundesrätin Doris Hahn bei einem gemeinsamen Pressegespräch zur aktuellen Versorgungslage im niedergelassenen Bereich mit GVV-Bezirksvorsitzenden Vzbgm. Johann Horst Scheed.

 

„Der Bezirk Tulln ist zwar mit Wahlärzten gut versorgt, bei denen man für jede Behandlung bezahlen muss, bei den Kassenärzten sieht die Lage aber anders aus. Über 100 WahlärztInnen stehen rund 80 KassenärztInnen gegenüber. Jeweils 2.054 EinwohnerInnen kommen auf eine/n AllgemeinmedizinerIn mit Kassenvertrag. Auf FachärztInnen mit Kassenvertrag kommen im Bereich Innere Medizin 21.365 BürgerInnen, in der Kinder- und Jugendheilkunde 5.266 Kinder und Jugendliche bis 15 Jahre, in der Urologie 4.504 Männer (älter als 60 Jahre), in der Gynäkologie 10.942 Frauen und bei Lungenerkrankungen 53.414 potenzielle PatientInnen“, skizzierte die Bezirksvorsitzende die unbefriedigende Situation.

 

„Die Landeshauptfrau hat vor vier Jahren den NiederösterreicherInnen die Garantie dafür gegeben, dass auch in Zukunft alle Landarztpraxen besetzt sind, um die Menschen wohnortnah und kompetent zu versorgen“, erinnerte Hahn: „Die Realität ist leider eine andere. Die wachsende Bevölkerungszahl, die kommende Pensionierungswelle bei den Hausärzten und der fehlende Ausbildungsschub werden es notwendig machen, dass die Kassenstellen bei den AllgemeinmedizinerInnen aufgestockt werden.“ Immer wieder würden ÄrztInnen an die Bezirksvorsitzende herantreten und von ihren Sorgen und Herausforderungen berichten. Dadurch dass es zu wenige Ärzte mit Kassenvertrag gibt, müsse verstärktes Augenmerk auf die Arbeitsbelastung der MedizinerInnen und auf die Bedürfnisse der PatientInnen gelegt werden, meinte Hahn. 


„Die SPÖ NÖ arbeitet an Lösungen, die sie – so wie das KinderPROgramm und das PflegePROgramm – mit allen politischen Fraktionen diskutieren wird, um das bestmögliche Angebot für die PatientInnen herauszuholen. Wir alle brauchen die Sicherheit, dass sowohl die Vorsorge- und Routineuntersuchungen als auch die Akutversorgung gewährleistet sind! Dazu gehören etwa die Wiedereinführung des Gemeindearztes, Verbesserung des Facharztangebots durch beispielsweise PVZ, Gruppenpraxen oder Anstellung von ÄrztInnen in bestehenden Praxen und im Rahmen der medizinischen Ausbildung könnten Studienplätze für Niederösterreich reserviert werden“, hielt die Bundesrätin fest. 


Hahn: Studienplätze für Niederösterreich reservieren


„Es zeigt sich, dass die Landarztgarantie der ÖVP wertlos ist. Als Lehrerin würde ich der Landeshauptfrau hier ein deutliches ‚Mitarbeitsminus‘ geben“, so Hahn, selbst Pädagogin in einer Mittelschule. „In vielen Gemeinden in diesem Bundesland und auch in unserem Bezirk wurden Kassenstellen erfolglos ausgeschrieben. Wie etwa die Stelle für eine/n KinderärztIn in unserem Bezirk: Diese wurde bisher in 42 Ausschreibungsrunden ohne Erfolg angeboten“, erklärte Hahn. So gelte es, auch im Bereich der Ausbildung die Hebel anzusetzen, sagte sie. Eine neue Bestimmung im Universitätsgesetz hätte es bereits für dieses Jahr ermöglicht, Studienplätze im öffentlichen Interesse zu reservieren. Einzig das Bundesheer hat dies gemacht – jedoch kein Bundesland. „Hier gilt es anzusetzen und ehestmöglich Studienplätze für Niederösterreich zu reservieren. Studierende könnten damit etwa dazu verpflichtet werden, für einen befristeten Zeitraum für eine öffentliche Institution, ein bestimmtes Bundesland oder als KassenärztIn zu arbeiten. Als Anreiz winken auch Erleichterungen beim Medizinaufnahmetest. Spätestens im nächsten Jahr sollte Niederösterreich die Chance nützen“, betonte die Bundesrätin.

 

Scheed will Gesundheitssystem, das für alle da ist – präventiv und akut

 

„Viele ÄrztInnen sind an ihrem Limit angekommen. Sie würden gerne neue PatientInnen aufnehmen, können aber nicht, weil es keine Kapazitäten mehr gibt“, so GVV-Bezirksvorsitzender Scheed. Inzwischen seien die Gemeinden die einzigen, die sich nach Kräften dafür einsetzen, dass die hausärztliche Versorgung gesichert ist. „Nicht die Zuständigen im Bund, Land NÖ und der österreichischen Gesundheitskasse sind diejenigen, die für Ersatz kämpfen, wenn jemand in Pension geht“, unterstrich Scheed: „Es sind die GemeindevertreterInnen, denen die medizinische Sicherheit ihrer BürgerInnen am Herzen liegt. Weil eine gute medizinische Versorgung zur Lebensqualität dazugehört.“

 

Vor allem die Verantwortlichen des Landes NÖ – zuvorderst Landeshauptfrau Mikl-Leitner – die vollmundig Garantien aussprechen, seien gefordert für die notwendigen Besetzungen der Stellen zu sorgen, verlangte Scheed Initiative: „Wenn für 106.827 TullnerInnen genau zwei Lungen-FachärztInnen mit Kassenvertrag zur Verfügung stehen – und das in einer Pandemie-Situation, mit Auswirkung auf dieses Organ – spricht das für sich.“ Auch in einem anderen Bereich der Vorsorge orteten die beiden SPÖ-Funktionäre Engpässe: „Die Menschen sind derzeit entweder gezwungen auf einen Wahlarzt auszuweichen und zu zahlen oder lange Wartezeiten auf sich zu nehmen bzw. auf eine ärztliche Behandlung zu verzichten. Damit riskieren sie behandelbare Erkrankungen nicht rechtzeitig zu erkennen. Beides wollen wir nicht. Beides kann nicht im Sinne handelnder Politik sein und ist in jedem Fall nicht im Sinne der Sozialdemokratie. Wer Steuern zahlt, soll dann auch auf die Leistungen des Staates zugreifen können. Und dazu gehört ein Gesundheitssystem, das für alle da ist und darauf schaut, dass sowohl präventiv als auch akut jedem die notwendige Behandlung zu Teil wird.“


Rechenbeispiel 1 - Urologe:

-       Im Bezirk gibt es 3 Urologen. Wenn man nur die Männer über 60 Jahre heranzieht, so kommen auf einen Urologen 4.504 Patienten über 60. Hätte dieser alle 365 Tage des Jahres geöffnet, müsste er täglich rund 15 Männer untersuchen. Rechnet man die Samstage, Sonn- und Feiertage weg und geht von Öffnungszeiten von Montag-Freitag aus, wären das 21 Männer täglich. Und dabei reden wir noch nicht von jener Altersgruppe zwischen 45 und 60, für die ebenso die Empfehlung ausgesprochen ist, einmal im Jahr zur Vorsorgeuntersuchung zu kommen.

 

Rechenbeispiel 2 – FrauenärztInnen:

-       Im Bezirk gibt es 5 FrauenärztInnen mit Kassenvertrag. Insgesamt gibt es im Bezirk Tulln 54.710 Frauen. Hätten die fünf FrauenärztInnen 365 Tage im Jahr geöffnet, müssten sie täglich 30 Frauen untersuchen. Rechnet man die Samstage, Sonn- und Feiertage weg und geht von Öffnungszeiten von Montag bis Freitag aus, wären das etwa 44 Frauen. Empfohlen sind ein bis zwei Vorsorgeuntersuchungen pro Jahr, ab 45 Jahren ist jährlich eine Mammografie empfohlen.

 

Selbiges Beispiel anhand der FachärztInnen für Kinder- und Jugendheilkunde:

-       Im Bezirk gibt es 3 KinderärztInnen mit Kassenvertrag. Allerdings 13 WahlärztInnen in dieser Fachrichtung! Wenn wir jetzt nur Kinder und Jugendliche unter 15 Jahre heranziehen, so kommen auf diese Kinderärztinnen mit Kassenvertrag 5.266 Kinder und Jugendliche. Geht man davon aus, dass einmal im Jahr durchschnittlich jedes Kind einmal behandelt werden muss – was bei manchen öfter der Fall ist, beim anderen vielleicht gar nicht – und treffen wir die weitere Annahme diese ÄrztInnen hätten 365 Tage im Jahr geöffnet, müsste er/sie täglich 15 Kinder und Jugendliche behandeln. Rechnet man die Samstage, Sonn- und Feiertage weg und geht von Öffnungszeiten von Montag-Freitag aus, wären das etwa 21 Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren täglich.


EinwohnerInnen des Bezirks Tulln (Quelle: www.noel.gv.at):

-       Gesamt: 106.827 (52.117 Männer; 54.710 Frauen)

-       Unter 15: 11.790 (8.015 m; 7.782 w)

-       15 – 60 Jahre: 49.028 (30.589 m; 31.046 w)

-       60 Jahre und älter: 25.681 (13.513 m; 15.882 w)


ÄrztInnen der wichtigsten Fachrichtungen im Bezirk Tulln (Quelle: www.arztnoe.at):

-       Allgemeinmedizin: 52 mit Kassenvertrag; 45 ohne Kassenvertrag (+ 15 Vorsorge-ÄrztInnen)

-       Innere Medizin: 5 mit Kassenvertrag; 14 ohne Kassenvertrag (+ 9 Vorsorge-ÄrztInnen)

-       Augenheilkunde und Optometrie: 3 mit Kassenvertrag; 4 ohne Kassenvertrag

-       Radiologie: 4 mit Kassenvertrag; 1 ohne Kassenvertrag

-       Kinder- und Jugendheilkunde: 3 mit Kassenvertrag; 13 ohne Kassenvertrag

-       Frauenheilkunde und Geburtshilfe: 5 mit Kassenvertrag; 11 ohne Kassenvertrag

-       HNO: 2 mit Kassenvertrag; 6 ohne Kassenvertrag

-       Neurologie: 0! mit Kassenvertrag; 4 ohne Kassenvertrag

-       Lungenkrankheiten: 2 mit Kassenvertrag; 0 ohne Kassenvertrag

-       Haut- und Geschlechtskrankheiten: 2 mit Kassenvertrag; 7 ohne Kassenvertrag

-       Urologie: 3 mit Kassenvertrag; 3 ohne Kassenvertrag